Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Kompakter Fusions-Artrock mit SBB in Leipzig 17.09.2016 Über der Autobahn vergießt der Himmel gerade all die Wassermassen, die er sich in den letzten Wochen aufgespart hatte. Eine Wand aus Gischt vor mir und haufenweise Aquaplaning unter mir. Nach hinten sehe ich nicht und im Kopf habe ich Erinnerungen. So dicht wie dieser Vorhang aus Gischt war damals die Musik gewebt, die Czeslaw Niemen und Band 1973 im Kulturpalast Dresden spielten. Eine expressive Mixtur aus Soul, Blues und Jazz, die man später Fusionsmusik nennen würde. Der Sound war fremdartig betörend und kam mit ungeahnter fließender Wucht. Damals vergaß ich das Staunen, aber meine Hirnzellen waren clever genug, das alles zu speichern. Mit diesen Erinnerungen kämpfe ich mich gegen den Starkregen nach Leipzig, um diese Band von einst, die wenig später als SBB Furore machten sollte, noch einmal live zu erleben. Der alte Haudegen Detlef Seidel hat es doch tatsächlich geschafft, die polnische Rock-Legende als „Vorband“ auf die Bühne der Stern Combo Meissen holen. Das ursprüngliche Anliegen, mit dem slowakischen Collegium Musicum und SBB einen Dreier-Gipfel mit Art-Rock des einstigen Ostblocks auf die Bü0hne zu bringen, scheiterte leider schon im Vorfeld. Manche Träume werden war, andere der nicht. In den Minuten vor Beginn des Konzerts habe ich Gelegenheit, in Ruhe Gespräche zu führen. Vor der Bühne steht das eher unscheinbar wirkende Equipment von SBB: Keyboards mit Bass, Drums und Gitarre. In der ersten Reihe sitzend, könnte ich die Pedale mit den Fußspitzen berühren. Doch nur hier ist es möglich, auch zu sehen, denn hier sitzt man mit den Musikern auf Augenhöhe. Die kommen nach den einleitenden Worten von Detlef Seidel und begeben sich zu den Instrumenten. Josef Skrzek nimmt sich seinen Bass, alle drei verständigen sich kurz mit Blicken und dann, wie aus dem Nichts, hämmert Jerzy Piotrowski jazzige Rhythmen aus den Becken und Fellen, in die Josef mit Bass und Antymos Apostolis mit seiner Gitarre einsteigen. Das Stück heißt „Odlot“ (Abfahrt) und knüpft nahtlos an das an, was ich aus meiner Erinnerung von Dresden 1973 zu erkennen meine. Zehn Minuten schweben Gitarrenklänge über einem Rhythmusgeflecht und der Bass tanzt melodische Ausflüge dazu. Nur sparsamer und expressiver Gesang von Josef komplettiert das Klangbild. Der Start ist grandios und so wird es bis zum allerletzten Ton auch bleiben. Auch das zweite Stück („New Horizonts“) ist eine Fusion aus Jazz und Rock. Wechselseitig toben sich Gitarre und Mini- Moog über deftigen wilden Stakkato-Rhythmen solistisch aus, ehe es dann mit einem dritten, sehr harmonischen Stück, zunächst wesentlich ruhiger wird. Die dreiteilige Komposition hält den Spannungsbogen ebenfalls über einige Minuten und bietet im Mittelteil expressive Soli des Gitarristen sowie des Zauberers an den Tasten. Das Staunen im Saal kann man fst fühlen und mehrfach hört man spontanen Zwischenapplaus, wofür sich Josef sehr emotional bedankt, während Antymos eher still und bescheiden in sich hinein lächelt. Wir sind alle davon begeistert, wie die drei mit unheimlich viel Spielwitz und individueller Professionalität zu überzeugen wissen. Auf welch extrem hohem Niveau diese drei Musiker agieren, demonstrieren sie auch mit „Na Pierwszy Ogien“ (Zuerst war das Feuer). Josef Skrzek steht mit umgehängter Bass-Gitarre zwischen seinen Keyboards und wechselt wieselflink zwischen Tasten und Saiten, während ihn Drums und Gitarre förmlich antreiben. Dieses Stück endet furios wie ein gewaltiger Paukenschlag. Wahnsinn, fällt mir da nur ein. Nach dem etwas verträumt und verspielten Blues „360 do Tuly“ (360° Blick auf Tula?) folgt darauf mit dem „Rainbow Man“ eine weitere kraftvolle Rocknummer, bei der sich Josef auch als charismatischer Sänger präsentieren kann. Das Stück steigert sich, basierend auf furiosem Gitarrenspiel, bis zum Crescendo und endet dann wieder völlig unvermittelt, so dass nur der Nachhall einen Moment lang im Saal zu ahnen ist. Ähnliches erleben wir noch einmal bei „Walkin’ Around The Stormy Bay“ und auch diesmal überzeugt JOSEF. Beide Songs sind bereits 1979 auf dem englisch eingesungen Album „Welcome“ veröffentlicht worden. Ich erlebe diese Band als kompakt agierendes Trio direkt vor mir, kann hautnah sehen, wie Jerzy hinter dem Drum-Set abwechselnd regelrecht wütet und dann wieder gefühlvoll und sehr differenziert filigran Rhythmen erzeugt. Antymos, direkt daneben stehend, spielt meist völlig in sich versunken und sucht nur ab und an Blickkontakt zu den beiden anderen, kann aber bei seinen Soli regelrecht explodieren. Josef Ssrzek ist das Bindeglied zwischen beiden und ein Zauberer an seinen Instrumenten. Was wir in diesen eineinhalb Stunden erleben, ist allerhöchste Schublade und in der Spielweise ganz sicher einzigartig. Vergleiche oder ähnliche Dummheiten fallen mir nicht ein und wenn, dann nur das, was ich von jenem Konzert mit Czeslaw Niemen in Erinnerung behalten habe. Das war aber damals auch schon von einem völlig anderen Universum und bis heute hat sich daran nichts geändert. SBB sind einzigartig, auch im internationalen Maßstab. Eigentlich, denke ich mir, müsste diese Hütte heute und hier brechend voll sein…. SBB beenden ihr Konzert mit dem hymnischen „Memento z Banalnym Tryptykiem“ (etwa: Gebet für ein schlichtes Triptychon). Zunächst singt JOSEF zu Synthi- und Orgelbegleitung den ersten Teil der Ode, sehr emotional und erhaben auf mich wirkend. Im zweiten Teil treibt sich das Trio instrumental bis zum Schlussakkord. Für einige Momente stehen diese drei Musiker und nehmen ihren Applaus von uns entgegen. Ich sehe in Gesichter, aus denen jede Spannung, die ich noch zu Beginn sah, gewichen ist. Die Freude ist ihnen anzusehen und natürlich lassen sie sich noch zu einer Zugabe bewegen. Die beginnt mit einem Schlagzeugsolo, das diese Bezeichnung auch wirklich verdient hat. Kein übliches Super-Bumm-Bumm, sondern ein gleißendes Feuer ganz unterschiedlicher Rhythmen, ineinander und übereinander geschachtelt, schnell und auf den Punkt! Nicht mehr, aber auch nicht weniger und da hinein steigen die beiden anderen für ein letztes Stück, um sich danach endgültig zu verabschieden. Für einen kleinen Moment sitze ich noch fassungslos vor dem nun verwaisten Instrumentarium, voller Emotionen, die sich mit den Erinnerungen an 1973 abgleichen. Ich bin schlicht gerührt und sehr glücklich, brauche diese Pause, bin aufgekratzt, muss mir meine Beine vertreten und den Kopf lüften. Gespräche lassen ahnen, dass es anderen ebenso geht wie mir. Es fühlt sich an wie im Ameisenhaufen, wie beim großen Kribbeln, das nicht enden will. In dieses Gefühl hinein tönt der Sound der Stern Combo Meissen, doch in meinem Kopf hallt noch immer SBB nach.